Brüssel – eine Datenbank für historische Aufzüge
Im Jänner 2023 wurde die erste Aufzugdatenbank mit historischen Brüsseler Liften online gestellt.
Ein epochales Etappenziel für den Erhalt bedrohter Liftanlagen in Belgien.
Wir waren vorab zu Besuch, um uns dem Charme des Art Nouveau hinzugeben und zu vernetzen.
Begleite uns auf eine Besichtigungstour.
Bonjour Mrs. Muret
Frau Muret begrüßt Jan Dumno vom deutschen Elevatormuseum und mich im Hauptquartier von < Urban Brussels >
Schon seit mehreren Monaten waren wir schriftlich in Kontakt. Endlich klappte es nun spontan einen Besuch zu unternehmen.
„Wir haben eine beratende und koordinierende Funktion für die Eigentümer“, klärt uns Muriel Muret auf, die seit der Gründung von Urban Brussels mit dabei ist.
Hauptaufgabe beim Thema historische Aufzüge ist gerade, zu erheben, wieviele schützenswerte Liftanlagen es überhaupt noch gibt in Brüssel.
Insgesamt gibt es 2309 Aufzüge, welche ein älteres Baujahr als 1958 aufweisen.
All jene sind in erster Instanz von königlichen Erlass aus 2003 betroffen, welcher geltendes EU Recht zur Umsetzung bringt.
Wir haben über diese Entwicklung berichtet. >Brüssels Art Noveau Lifte
Gemeinsam wurde viel erreicht
Schon 2003 wurden Stimmen aus den Reihen der Hauseigentümer laut.
Die Initiativen formierte sich und begann Lobbying für das Thema zu betreiben um es ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen.
> Den detaillierten Werdegang der Initiative weiter unten im Beitrag
Das bedeutet allerdings nicht, dass all diese Lifte noch einen kulturhistorischen Wert aufweisen. Viele wurden bereits durch Umbauten und Adaptierungen ihrem Charme beraubt.
„Gemeinsam mit Homegrade Brussles haben wir einen Erhebungsstand von über 800 schützenswerte Aufzügen. Mehr als 300 davon konnten wir detaillierter erfassen und als historisch wertvoll anerkennen. Je besser wir sie dokumentieren, desto besser können wir gegenüber der Politik argumentieren.“ berichtet uns Muriel Muret.
Alle dokumentierten Aufzüge sind seit Jänner 2023 online unter https://elevators.heritage.brussels/ abrufbar.
Alle Details, wie es zu dieser Inventarisierung und Einflussnahme kommen konnte, im zweiten Teil des Beitrages.
Einen Beitrag leisten
Das ist auch der Grund des Besuchs von Jan Dumno in meiner Begleitung, um mit seinem umfangreichen internationalen Sammlungsbestand einen Beitrag leisten zu können.
Einige konkrete Fragen haben sich auch bereits angesammelt bei Mrs. Muret und ihren Kolleg*innen, welche mit uns am Besprechungstisch sitzen.
Die Zeit läuft. Schnell noch einen der köstlich angerichteten Sandwiches zu sich genommen, und es geht los auf eine gemeinsame Besichtigungstour.
Besichtigungstour
Nur einen Steinwurf entfernt, betreten wir durch das Foyer eines Musikladens, in welchem unsere Ohren mit klassischen Klängen umspült werden, das Treppenhaus. Der Geruch von öligem Holz gesellt sich zu den Sinneswahrnehmungen und lässt uns bereits erahnen.
Et voilà, ganz versteckt hinter der Stiege sehen wir auch schon die für Brüssels Lifte typischen Akkordeontüren.
Muriel ist voller Fragen. Über die Funktionsweise einzelner Komponenten bis hin zu unserer Einschätzung des Originalzustandes.
Besonders die Akkordeontüren und ihre Sicherheit werden zum Thema.
In Österreich Scherengitter genannt und überwiegend als Einbruchschutz verwendet, sind bei Brüssels Art Nouveau Liften die gängige Art der Türen. Sowohl bei Schacht, als auch Kabinentüren. Daraus ergibt sich auch das erste schwerwiegende Problem für Modernisierungen, klärt uns Muriel Muret auf. Die geltenden Gesetze fordern nämlich den Einbau neuer Türen, welche das Ensemble, wie in diesem Fall komplett entstellen würde.
Aber dazu später mehr.
Ein ehemaliges Warenhaus
Weiter geht zu einem ganz besonderen Gebäude. Nicht nur, dass hier zwei Aufzüge beherbergt sind, die über Jahrzehnte des Stillstandes zu Zeitkapseln geworden sind, das Gebäude selbst ist eine Zeitkapsel.
Als Warenhaus errichtet, wurden hier bis in die 1980er Jahre Stoffe gehandelt. Seit 1988 ist hier das >>Archive de la ville Bruxelles<< untergebracht.
Die Einrichtung und Ausstattung wurde jedoch kaum verändert.
Gleich beim betreuten des Foyers begegnen wir einem originalen Jaspar Aufzug. Dem einst bekanntesten belgischen Lifthersteller.
Denn spannenderen Lift sehen wir im rückwärtigen Trakt, animiert uns Muriel zum Weitergehen.
Dort wo einst die Stoffhändler verkehrten, welche ihre Stoffe zum Ankauf anboten.
Über das schwere und mächtig thronende Holztreppenhaus und die Belle Etage geht es in den Verwaltungstrakt.
Ein zweiter Jaspar Lift schlummert hier, festgesetzt zischen zwei Stockwerken.
Das besondere, es handelt sich um ein Modell mit Lastenabteil unter der Personenkabine.
Damit wurden die Stoffbarren hoch in die Verkaufsräume transportiert.
Dieser Lift wurde bereits weit früher außer Betrieb genommen als jene Anlage im Hauptstiegenhaus, welche noch deutliche Spuren von einer Modernisierung erkennen lässt.
Erkennbar wurde dies im Maschinenraum. Die komplette Technik präsentierte sich uns unverändert mit dem Gleichstromantrieb der Anfangszeit.
Das bürgerliche Mietshaus von Brüssel
Für das letzte Ziel unserer Tour nehmen wir den Bus. Gleich eine kleine Sightseeing-Tour bis wir schließlich im Stadtteil Saint Gilles vor einem für Brüssel in der Kubatur unüblichen Appartement-Haus stehen.
Dieses Gebäude wurde mit allen technischen Errungenschaften seiner Zeit ausgestattet. Telefon, Elektrizität, Zentralheizung und eben auch einen Aufzug.
Ein original Waygood Lift von 1913 versieht hier noch immer, liebevoll gepflegt seinen Dienst.
Dieser englische Hersteller wurde kurze Zeit später von Otis übernommen.
Ebenfalls ein Blickfang war der historisch originale Dachboden des Hauses mit seinen Dienstmädchen Zimmern.
Alte Bekannte
Zu meiner Überraschung traf ich hier zwei alte Bekannte. Paul Marien, passionierter Aufzugstechniker und Firmenchef, welcher sich bereits seit 20 Jahren für den Erhalt der Brüsseler Lifte engagiert, und seinen Geschäftspartner Georges Soubasis.
Beide führten bei dieser Anlage Tests mit einem Überwachungssystem für den Schacht durch, um eine Erhaltung des optischen Gesamteindrucks möglich zu machen.
Die Adaptierung der offenen Fahrschächte im Treppenhaus ist nämlich ein zweiter erheblicher Punkt der neuen Vorschriften, welche das optische Erscheinungsbild beeinflussen.
Fachgespräche entwickelten sich und es wurde der Funktionsweise einer originalen Sicherheitseinrichtung auf den Grund gegangen.
Um bei so viel Gesprächen nicht zu verdursten, wurde in einem kleinen Lokal ums Eck auf ein Bier geladen, bei dem sich auch noch ein Vertreter der Save our Elevators Initiative zu uns gesellte.
Ein krönender Abschluss eines Vernetzungstages welche wohl noch weitere Länder übergreifende Zusammenarbeit mit sich bringen wird.
Ein herzliches Dankeschön an Muriel Muret von Urban Brussels für die Einladung und Organisation dieses spannenden Tages. Ein Austausch von Wissen und Erfahrung, welche wohl allen historischen Aufzügen in Europa zugutekommen kann.
Wir freuen uns auf einen Gegenbesuch in Wien.
Vom Werdegang einer Initiative
Die Thematik mit den Modernisierungen gibt es seit 20 Jahren als der königliche Erlass erfolgte.
Damals 2003, formierte sich die erste Bürgervereinigung, um gegen eine obligatorische Modernisierung von Aufzügen protestieren. Herr Marien war damals schon mit dabei.
Erste Abänderungen wurden erzielt.
Urban Brussels war von Anfang an dabei.
Herr Marien kontaktierte uns, als der neue königliche Erlass von 2003 über Aufzüge noch von den Bundesbehörden vorbereitet wurde.
„Wir haben bereits interveniert, um zu fordern, dass der historische Wert der Aufzüge berücksichtigt wird, wie er von den regionalen Denkmaldiensten festgestellt wurde.“ berichtet uns Mrs. Muret.
Es wurde mit einer inoffiziellen Inventarisierung begonnen.
Ein Schutz für historische Lifte
In weiterer Folge gründete sich parallel der Verein „Save our Elevators“ welcher sein Augenmerk speziell auf den Schutz der historischen Lifte legte.
Dem Verein gelang es, die Politik zu überzeugen, sie zu unterstützen. So auch Pascal Smet, der derzeitige Minister für Kulturerbe, der erhebliche Mittel bereitgestellt hat, um eine Bestandsaufnahme durchzuführen und mit der Bundesregierung zu diskutieren.
Gleichzeitig machten Freiwillige des Vereins Save Our Elevators in vielen Stadtteilen Brüssels eine systematische Bestandsaufnahme historischer Aufzüge.
Öffentlichkeitsarbeit
Urban Brussels beauftragte Homegrade Brussels (dieser unterstützt Eigentümer beratend bei allen Fragen von Renovierungen, Instandsetzungen oder Energiethemen)
sehr schnell damit, das Problem einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen und den Eigentümern zu helfen.
Homegrade organisierte die Liftstory-Ausstellung, einen Fotowettbewerb, einen Studientag und produzierte sehr nützliche Publikationen und Informationsbroschüren für Eigentümer und führte teilweise die Bestandsaufnahme fort.
Die Brüsseler Gemeinde Ixelles hat ebenfalls mit einer Bestandsaufnahme der Aufzüge auf ihrem Gebiet begonnen.
Anerkennung wertvoller Aufzüge
Bundesstaatliche Gesetze erlauben den Eigentümern seit 2020 ihren Aufzug bei Homegrade als historisch wertvoll zu vermerken, um Zeitaufschub und alternative Lösungen bei der Modernisierung verwenden zu können.
Viele haben seither eine Anfrage für diese Anerkennung gestellt.
Diese müssen online ihren Aufzug mit Fotos, Beschreibung und der bereits durchgeführten Risikoanalyse registrieren.
„Wir haben bereits viele Anfragen bekommen und der Trend hält auch weiter an. Das hat uns sehr geholfen neue Aufzüge ausfindig zu machen, aber auch zusätzliche Informationen zu bestehenden Anlagen zu bekommen.“
Des Weiteren wurden und werden mit Spezialisten der Aufzugsbranche technische Einzellösungen zu erarbeiten, womit das Erscheinungsbild der Lifte erhalten werden kann.
Eine Bestandsdatenbank
Eben vor zwei Jahren wurden dann auch wir von urban Brussels einbezogen um eine Bestandsaufnahme aller erhaltenswürdigen Liftanlagen durchzuführen.
Hierfür verwendeten wir die bereits von < save our elevators < , >homegrade brussels> dem brüsseler Bezirk Ixelles und führen sie mit unseren zusammen.
Je besser wir den Originalzustand der vorhandenen Aufzüge belegen können, desto größer sind die Chancen eine Zustimmung für die Zulassung alternativer Modernisierungsmaßnahmen seitens der politischen Entscheidungsträger.
Etappenziel
Der neue königliche Erlass über die Sicherheit von Aufzügen wurde am Mittwoch, den 21. Dezember 2022, endlich im belgischen Staatsblatt veröffentlicht und gilt ab dem 1. Januar. Er verlängert die Fristen für die Modernisierung, führt offiziell den Begriff des >>historischen Aufzugs<< ein und erlaubt es, >>alternative<< Lösungen zuzulassen, die möglicherweise ein geringeres Sicherheitsniveau aufweisen als das von den Normen gebotene.
„Dies ist bereits ein großer Schritt nach vorn. Allerdings verhandeln wir immer noch mit dem für die Sicherheit von Aufzügen zuständigen Bundesministerium, um diese berühmten Lösungen zu bekommen. Und dass sie wirklich dazu führen, dass die historischen Aufzüge nicht verunstaltet werden.“
Elektronische Lösungen werden auch offiziell im Text des Erlasses akzeptiert. Vorausgesetzt, sie werden auch von den Inspektionsdiensten akzeptiert.
“Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir eine erste Schlacht gewonnen haben, aber noch nicht den Krieg.“
Muriel Muret – Urban Brussels
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