Das Wiener Bankerl
Dieser verniedlichende Wiener Ausdruck bringt es auf den Punkt.
Den Sitzbänke in Aufzügen sind kleine Sofas.
Zum echten Feeling des Aufzugfahrens von früher gehören sie einfach dazu.
Um das auch im zukünftigen Aufzug Cafe bieten zu können, widme ich mich seit einiger Zeit dem Polstererhandwerk.
Begleitet mich auf die Geschichte eines solchen Bankerls.
Jedesmal, wenn ich einen alten Lift entdeckte, ist es für mich eine Freude, wenn darin eine originale Sitzbank vorzufinden ist.
Wunderschöne kleine Sofas sind es, die eine jede Liftkabine zu einem Salon machten.
Überzogen mit Leder oder Samt, vermittelten sie imperialen Charme.
Und das war auch so gedacht!
Wie kam es zum Bankerl?
Ihr müsst euch vorstellen, das Verkehrsmittel Aufzug war Ende des 19. Jahrhunderts eine technische Innovation.
Da der Individualverkehr des gehobenen Bürgertums mit der Kutsche stattfand,
wurden die Standards der Pferdekutschen auf den Aufzug übertragen.
Was bedeutet, das eben auch eine komfortable Sitzgelegenheit geboten wurde.
Deswegen wurden in alten Benützungsvorschriften die Kabinen auch als Coupé bezeichnet.
Was übersetzt nichts anderes als „durchschnitten“ bedeutet;
eben eine durchschnittene Kutsche.
Also nicht zwei gegenüberliegende Sitzbänke, sondern nur eine.
Aber die luxuriöse Ausgestaltung hatte auch noch einen Zweck:
die Fahrgästen sollten zur Benutzung des neuen Transportmittels bewogen werden!
Die Angst auf so engem Raum eingesperrt zu sein, war groß.
Durch Fenster und einer anspruchsvollen Einrichtung sollte diesem Unbehagen entgegengewirkt werden.
Die Spuren der Geschichte
Mit der Zeit verlor die Sitzgelegenheit in der Kabine aber immer mehr an Bedeutung.
Denn die Ansprüche der BewohnerInnen in den Häusern änderten sich.
Prestige war nicht mehr so wichtig, dafür Zweckmäßigkeit.
Da war es schon mal dringlicher die Waschmaschine zu transportieren als sich hinzusetzen.
Oft wurden somit Liftbankerl einfach entfernt oder stattdessen ein Klappsitz montiert.
Die, welche wie durch ein Wunder überlebt haben, sehen oft sehr mitgenommen aus.
Diese Patina hat allerdings auch eine geschichtsträchtige Schönheit.
Eines unser geretteten Stücke, erweckte in mir jedoch so großes Mitleid, dass ich mir vorstellte wie diese Bank wohl neu ausgesehen hat.
Es lag mir aber fern hier einfach nur laienhaft ein neues Stück Stoff drüber zu nähen.
Ich wollte das richtige Polsterhandwerk kennen lernen und erleben wie diese Arbeit vor hundert Jahren ausgeführt wurde.
Und das nur mit Materialien die auch damals schon Verwendung fanden.
Ich machte mich auf die Suche, wo in Wien dieses Wissen noch lebendig ist.
Und ich hatte Glück!
Polsterermeister Richard
Die angebotenen Kurse bei der Wiener Volkshochschule erfreuen sich großer Beliebtheit.
Altes Handwerk ist wieder in Mode, in einer Zeit der Schnelllebigkeit.
Aber es liegt wohl auch an dem charmanten Kursleiter Richard Stadler, der mit Herz und Wiener Schmäh bei der Sache ist.
Ein echtes Wiener/Weinviertler Original!
Steckbrief Richard Stadler
Richard führt gemeinsam mit seinem Sohn Alexander die Familieneigene Polster- und Tapezierer in Wien Währing.
Geboren im Weinviertel begann er 1985 seine Lehre bei der Firma Beisteiner.
Viel von der ursprünglichen Handwerkstechnik bekam er noch von der Seniorchefin (Großmutter) beigebracht.
Auch wie sparsam mit Material umzugehen ist.
Damals sind sogar die Reste von den Lehrlingen zusammengenäht worden die heute im Mülleimer landen würden.
Heute geht immer mehr Wissen verloren, da auch die Zahl der Polsterer rückläufig ist.
Doch mit seinem Betrieb trotzt er dieser Entwicklung.
Richard ist mit Herz und Seele Polsterer- und Tapezierermeister und das merkt man.
Er gibt sein Wissen deshalb auch gerne an Interessierte wie mich weiter.
Aber nun an die Arbeit,
…sonst ist der Tag aus, bevor was geschehen ist!
Im ersten Kurs lernte ich die Grundtechniken der Polsterei kennen;
verschiedenste Nähstiche, das Begurten von Rahmen, sowie das Handschnüren von Möbelfedern.
Dann ging es los mit dem eigentlichen Werkstück.
Das Revitalisieren einer Aufzugssitzbank
Da die Gurten und Schnüre bereits so porös sind, wird im erste Schritt das Gestell auf welchem alles montiert ist komplett abgeräumt bis nur mehr blankes Holz zu sehen ist.
Danach wird begonnen am alten Holzrahmen die neue Polsterung aufzubauen.
Der erste Arbeitsschritt ist dabei das Begurten des Rahmens.
Dazu werden Hanfgurte verwendet die ineinander geflochten eine stabile Auflage schaffen.
Danach geht es ans Aufbringen der Hochpolsterung mit Möbelfedern.
So nennt man es, wenn Federn verbaut werden um die Polsterschicht höher und komfortabler zu gestalten.
Das Befestigen und Verschnüren der Federn ist eine Wissenschaft für sich.
Mit verschieden starken Spagaten werden die Federn geschnürt und in Fasson gebracht, welches einiges an Geschick und Kraft erfordert.
An meinen roten Fingern kann man erkennen wieviel Kraft diese Arbeit erfordert.
Das Ergebnis dieser schweißtreibenden Arbeit: der fertige Federgrund.
Nun wird alles mit der sogenannten Federjute abgedeckt. Diese wird an den Federn angenäht und am Rahmen angenagelt.
Jetzt kann mit dem nächsten Arbeitsschritt; dem Schoppen (Füllen) begonnen werden.
Dabei wird das wie Heu anmutende Afrik verwendet.
Bei Afrik handelt es sich um die getrockneten Blätter der Afrikanischen Zwergpalme, welche in Streifen geschnitten, gekräuselt und gedämpft den Afrikzopf ergeben.
Der fertige Afrikzopf wird vor der Verarbeitung mittels einer (Spezial)Krämpelmaschine aufgedreht.
Dadurch entsteht die Kräuselung welche dafür sorgt das die Sitzfläche schön weich ist.
„Die Finger müssen sich bewegen wie kleine Mäuse!“ zitierte Richard immer seine alte Lehrmeisterin.
Was bedeutet dass bei der Afrikschoppung keine Zwischenräume entstehen dürfen, welche dann
ungewünschte Unebenheiten verursachen.
Und wenn man dann sagte: „Da stopfe ich noch was rein“, erklang es von Richard durch die Werkstatt: „Wir Füllen! Stopfen dua ma an Sockn!“
Aber damit war es nicht getan.
Ähnlich der Schoppung wird mit Rosshaar anschließend eine Piekierung (oberste Schicht) aufgebracht welche die letzen feinen Unebenheiten auf der Sitzfläche ausgleicht.
Nach dem Weißbezug mit Baumwoll Molino wird der Lederbezug aufgespannt.
Und das Ergebnis kann sich sehen und sitzen lassen!
Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl da so auf seiner eigen Arbeit zu sitzen.
Inspiriert von diesem Erfolg und der Freude am Handwerk, hatte ich eine Idee!
Im Aufzugscafe sollen die Gäste auch auf diesen Bankerln sitzen können.
Und um die Originale zu schonen werde ich einfach welche nachbauen!
Was dabei entsteht erzähle ich euch demnächst.
Richard und ich sind schon am Werken.
Hier erfahrt Ihr mehr über Richards Firma:
https://www.tapezierer-wien.at