Und er bewegt sich doch! - Wiener Aufzug Museum
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Und er bewegt sich doch!

Ein Aufzug der über 80 Jahre stillsteht?

Ob sich da noch etwas bewegen wird?

Die Inbetriebnahme wird uns nicht leicht gemacht dieses Mal.

Dafür wird es wahrscheinlich umso schöner!

 

Gemeinsam_im_Triebwerksraum_erwarten_wir_mit_Spannung_das Ergebnis

Gemeinsam_im_Triebwerksraum

 

Ein gutes Jahr ist es nun schon her, dass wir eine originale Aufzug Anlage das erste Mal in Betrieb setzen konnten.
Ein unvergessliches Ereignis, ein Nervenkitzel, wenn man das erste Mal nach Jahrzehnten wieder den Hauptschalter umlegt.
Und ein Spektakel, dem unzählige Arbeitsstunden voraus eilen.

 


In unserem Beitrag vom September 2018 könnt Ihr unsere damalige Inbetriebnahme nachlesen:

http://www.aufzugmuseum.at/die-zarteste-versuchung-seit-es-aufzuege-gibt/


 

Uns war schon im Vorfeld des aktuellen Aufzugsprojektes klar, das auch hier ein solcher Versuch gestartet werden soll.
Die Voraussetzungen waren gut.
Der Triebwerksraum war wie eine Zeitkapsel, über 80 Jahre verschlossen.
Dadurch konnte sich der Antrieb erhalten, als wäre die Maschine gestern noch gelaufen. 
In vielen Fällen sind diese damaligen High Tech Orte zu Rumpelkammern verkommen.

 

Ein_Beispiel_für_einen_zugemüllten_Triebwerksraum

Ein_Beispiel_für_einen_zugemüllten_Triebwerksraum

 

Doch dann zeigte sich ein anderes Problem!
Entgegen unserer Hoffnung, hatten wir es bei diesem Antrieb nicht mit einem Drehstrom-, sondern mit einem Gleichstrommotor zu tun.

 


Der heute übliche Drehstrom, ein anderes Wort für drei Phasen Wechselstrom (L1, L2, L3), war in den 30er Jahren erst am Beginn sich durchzusetzen.
Gleichstrom war zu dieser Zeit das verfügbare Stromnetz in Wien.

 

Grund dafür war die geschichtliche Entwicklung, als auch die Tatsache, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts Gleichstrommotoren einfach besser die Voraussetzungen für Aufzüge erfüllten.
Sie entwickelten auch unter Belastung genug Drehmoment, um sich in Bewegung setzen zu können.

 

Mitte der 1950er Jahre wurde schließlich in Wien damit begonnen, Bezirk für Bezirk, von Gleichstrom auf Drehstrom umzustellen. Ende der 50er Jahre war diese Umstellung abgeschlossen und kein Gleichstrom mehr verfügbar.


 

Das bedeutete, das wir selbst ein solches Gleichstrom Netz rekonstruieren mussten. 
Ragnar hatte hier bereits im Vorfeld Recherchen getroffen.
Über ein Elektrotechnik Forum bekam er kundigen technischen Rat.
Demnach sollte es eigentlich sehr unkompliziert sein, die notwendigen Spannungen zu erzeugen.

 

Die zweite Schwierigkeit war, das wir einen Transformator mit genug Leistung benötigten, welcher uns eine Spannung von 330V Drehstrom liefert um am Gleichrichter anschließend die 440V Gleichspannung zu haben. 

 

Und auch hier wusste Ragnar Rat.
Seine Kontakte im Bastlermilieu führten mich zu später Stunde ins tiefste Tullnerfeld.
Ein 32000 Watt Regeltransformator stand wenig später auf der Ladefläche meines Lieferwagens.

Dankeschön an dieser Stelle fürs Leihen!

 

Trafoanlage_mit_Gleichrichter

Trafoanlage_mit_Gleichrichter

 

Somit ging es an die erste Wartung des Aufzuges!
Und diese entpuppte sich weitaus umfangreicher als geplant.

 

Schaltkontakte waren stark oxidiert und mussten gereinigt werden.
Mechanische Teile welche beweglich sein sollten, waren über die Jahre verharzt und festgefressen.
Aber auch mit mutwilligen Beschädigungen  hatten wir zu kämpfen.
So dürfte die Kabine in der Vergangenheit als Abstellraum gedient haben.
Zur Sicherheit wurde da gleich einmal des Zuleitungskabel zur Kabine durchgeschnitten.

 

Reisnerstraße Revision (1 von 5)

Anschlussklemmen_am_Motor

 

Einige Tage später waren Ragnar und ich im Triebwerksraum und fieberten nun dem Kommenden entgegen.
Es wurde gemessen, kontrolliert und getestet bis es endlich an den ersten Einschaltversuch ging!
Ich positionierte mich am Hauptschalter, um Notfalls sofort ausschalten zu können.
Ragnar betätigte eine Etage unter mir den Rufknopf des Aufzuges..

 

Und…   nichts passierte! Nicht ein Klacken.
Irgendetwas  war nicht in Ordnung!
Wir mussten die Inbetriebnahme abbrechen.

 

Ragnar_und_ich_im_Kabelgewirr_des_Aufzuges

Ragnar_und_ich_im_Kabelgewirr_des_Aufzuges

 

Niedergeschlagen gingen wir alles nochmal einmal gedanklich durch.
Das Resümee: Es konnte nur etwas mit der Steuerung zu tun haben.
Diese war bei diesem Lift bereits sehr komplex. 

 

Elektrische Druckknopfsteuerung, elektrische Türüberwachung, elektrische Endschalter für die Kabinenposition. 
Dutzende Schaltkontakte also, welche eine Vielzahl an Störungsmöglichkeiten boten.


Ein Aufzug mit elektrischer Druckknopfsteuerung entspricht den Aufzügen, wie wir sie heute kennen.
In jeder Etage und der Kabine gibt es Druckknöpfe. Die Steuerung funktioniert rein elektrisch.
Es ist die elektrisch aufwendigste Art der Steuerung, welche in den 30er Jahren angeboten wurde.
Es ermöglicht allerdings dem Fahrgast, den Lift in jeder Etage anzufordern.


 

Wollen wir den Aufzug also in Bewegung setzen, müssen wir jede einzelne Leitung kontrollieren.
Jeden einzelnen Schalter im Schacht zerlegen und reinigen.

 

Puh…! Na dann, nichts wie an die Arbeit! Denn der Zeitplan drängt.
Schließlich muss die Anlage bis Mitte Dezember abgebaut sein.

 

Reinigen_der_Schaltkontakte_im_Schacht

Reinigen_der_Schaltkontakte_im_Schacht

 

Mehrere Tage verbrachten wir nun, tief vergraben in die Schaltungstechnik unserer Anlage.
Alle Verbindungen mussten zwecks Kontrolle der Kontakte gelöst, gereinigt und wieder geschlossen werden.
Bei dieser Gelegenheit wurde sogleich auch das Schaltungsschema für die Dokumentation erfasst.

 

Messen_der_Schaltung_auf_dem_Kabinendach

Messen_der_Schaltung_auf_dem_Kabinendach

 

Und als wir da so beim Werken sind, klopft es plötzlich an der Triebwerksraumtüre.
Es sind Mieter aus dem dritten Stockwerk. 
Wir kommen ins Plaudern über den Aufzug, unser Museumsprojekt und auch das wir den Aufzug wieder in Betrieb setzen wollen.

 

„Ah, da habe ich womöglich etwas, was ihnen weiterhilft…!“

 

Ragnar und Ich blicken uns verwundert an! Was kann das sein?

Als die Dame zurückkommt, hält Sie eine große vergilbte Papptafel in Händen, auf welcher in großen Lettern „Instruktion für den Betrieb und Wartung von Aufzügen System ARSAG“ geschrieben steht.

 

 

Ragnar_hält_die_Wartungsvorschriften_in_Händen

Ragnar_hält_die_Wartungsvorschriften_in_Händen

 

„Ich habe es vor Jahren einmal gerettet bevor es entsorgt worden wäre.

Ich bin Geschichtsprofessorin, müssen sie wissen und solche Dinge zu erhalten liegen mir am Herzen.

Wenn sie mir einen Reprint machen, überlasse ich Ihnen gerne das Original.

Es ist ja für einen guten Zweck.“

 

Vorsichtig nehmen wir das Geschenk entgegen und können es noch immer nicht glauben.
Dies war die originale Wartungsvorschrift aus dem Triebwerksraum!

 

Anschließend wird noch eine Weile bei einer Tasse Kaffee geplaudert, denn Konzentration zum Arbeiten hätten wir eh keine mehr gehabt.

Auf dieser Tafel stand nun genauestens beschrieben, wie die Wartung zu erfolgen hatte.
Zu Dritt, (Ragnar, Franz und ich) ging es am nächsten Tag nun an die letzten finalen Arbeiten, vor dem zweiten Versuch zur Inbetriebnahme.

 

Ragnar_beim_Schmieren_der Führungsschienen

Ragnar_beim_Schmieren_der_Führungsschienen

 

Ragnar übernahm das Schmieren, Franz die Reinigung an der Kabine. 

 

Franz_beim_Reinigen_der_Kabine

Franz_beim_Reinigen_der_Kabine

 

Und ich klemmte die letzten Drähte der Steuerung wieder an.

 

Letzte_Arbeiten_an_der_Maschinenelektrik

Letzte_Arbeiten_an_der_Maschinenelektrik

 

Alles war nun bereit für den zweiten Versuch!

 

Franz war am Stromkasten im Hof positioniert, Ragnar am Druckknopf im zweiten Stock und ich am Hauptschalter im Triebwerksraum.
Der Puls klopfte heftig bis an meine Kehle, als ich das Kommando „EIN“ rufe.
Mein Blick ruht gebannt auf der Antriebswelle des Motors um im Störungsfall rasch reagieren zu können.

 

Die_Hand_liegt_am_Einschalthebel_bereit

Die_Hand_liegt_am_Einschalthebel_bereit

 

Plötzlich ein Klacken! 

Und mit einem tiefen Surren setzt sich der Motor in Gang.

 

„ER LÄUFT“ schrie ich voller Freude! 

Unser erster Gleichstrom Aufzug in Betrieb!

 

Nach mehreren Testläufen wagten wir uns dann auch selbst in die Kabine, um eine Fahrt zu genießen.
Einer nach dem Anderen nahm in der Kabine Platz.
Ein unbeschreibliches Erlebnis!

 

Jeder_will_einmal_mit_dem_Aufzug_mitfahren

Jeder_will_einmal_mit_dem_Aufzug_mitfahren

 

Doch es galt noch einiges nachzujustieren und einzustellen.
Die Anhaltegenauigkeit der Kabine ließ noch zu wünschen übrig.

Schließlich wollen wir den Aufzug nochmals den Bewohnern präsentieren.
Und dafür sollte alles Tip Top sein.

Drum geht es jetzt wieder an die Arbeit!

 

Bis demnächst!

LG

Christian