Wenn Aufzüge sprechen könnten... - Wiener Aufzug Museum
25857
post-template-default,single,single-post,postid-25857,single-format-standard,ajax_fade,page_not_loaded,,select-child-theme-ver-1.0.0,select-theme-ver-3.4,vertical_menu_enabled,paspartu_enabled,wpb-js-composer js-comp-ver-4.12.1,vc_responsive

Wenn Aufzüge sprechen könnten…

 

…, könnte uns diese Kabine eine Menge Geschichten erzählen.

 

Nicht nur, dass sie die prunkvollste aus unseren geretteten Stücken ist, auch glänzt sie mit einer bemerkenswerten Geschichte.
Der zufälligen Begegnung mit einem langjährigen Hausbewohner verdanke ich das Wissen um diese Geschichten. 

 

Helmut Puchinger (li.) und Christian Tauss (re.) vor der Aufzugkabine

Helmut Puchinger (li.) und Christian Tauss (re.) vor der Aufzugkabine

 

Im Pratercottage

 

So die kaum gängige Bezeichnung für das Viertel zwischen Donaukanal und grünem Prater im 2. Wiener Gemeindebezirk.

 

Es ist ein prächtiges Bürgerhaus, mit einer Einfahrt für Pferdekutschen, eigenen Stallungen im Hinterhof, Balkonen in jedem Geschoss. Und ja, auch mit einem damals modernsten Personenaufzug.

 

Die bauliche Struktur war nahezu unverändert erhalten und ein reales Stück Stadtgeschichte.
Genauso wie Helmut Puchinger, welcher als ehemaliger Bewohner, das erzählen kann, von dem die Wände stumme Zeugen sind.

 

Fassade

 

„Sowas schönes, mit diesen geätzten Gläsern“, schwärmt Herr Puchinger im Parterre das Hauses stehend.

Er wurde 1940 in einer Wohnung im 3. Stock geboren.
Nachdem er erfahren hatte, dass der Aufzug hier im Haus ins Museum kommt, kontaktierte er mich kurzerhand.

 

Als fünfjähriger Bub ist er noch mit dem Lift gefahren, erinnert er sich schmunzelnd. „Damals hatte ich die Sorge, der Fensterpolster, den ich dabei hatte, könnte zu schwer für den Lift sein.“

 

Innenraum Kabine

Innenraum Kabine

 

Das erste Projekt

 

Es war 2016 als in diesem Haus eine große Sanierung gestartet wurde. Ein Umstand, für welche die gut 70 Jahre stillstehende Liftanlage weichen musste. Zum Glück wurde ich darauf aufmerksam und konnte mit den Eigentümern eine Übernahme für das Museum vereinbaren.

Darauf folgte der erste komplette Aufzug Abbau in Eigenregie, bei dem sich auch das Team, welches mich seither tatkräftig unterstützt, zusammengefunden hat.

Beflügelt durch meine Fantasie und die noch junge Idee für das Aufzug-Café, (Ja, die gab es bereits damals), entschied ich mich den originalen Charme diesem wie vergessen wirkendem Hauses, in einem ersten Kurzfilm festzuhalten.

 

Hier kannst du dir unseren Film ansehen

 

Dreharbeiten zu unserem Kurzfilm

Dreharbeiten zu unserem Kurzfilm

 

Ein bewohnter Lost Space

 

Das Haus war in seiner Optik genau so, wie es 1906 ausgesehen hatte.
Die prächtige Einfahrt, welche mit einem zehnarmigen Luster gekrönt war.
Die mit roten Teppichen bespannten Stiegen, von welchen noch die Messing-Stiegenspanner Zeugnis ablegten.

 

Einfahrt

Einfahrt mit Stiegenaufgang

 

Im Hofbereich ging es über einer Rampe ins Souterrain, wo einst die Pferde des Herrn Baron untergebracht waren, sowie eine Einstellmöglichkeit für die Kutsche, erfuhr ich von Herrn Puchinger.

Im Treppenhaus war der in der Stiegenspindel situierte Aufzug-Schacht.
Nur wenig mit schützenden Gittern umwehrt, war die Kabine ohne Einschränkung zu bestaunen.

 

Kabine im Stiegenhaus

 

Den Tragseilen mit den Blicken folgend, sah man zu einem gläsernen Dach empor, durch welches diese verschwanden.
Diese Glasdecken boten eine ideale Lichtdurchflutung des Treppenhauses, wenn es mit Fenstern an der Fassade eng wurde, erzeugte doch künstliche Beleuchtung zu Zeit der Errichtung nur sehr spärliches Licht.

 

Glasdecke des Stiegenhauses

Glasdecke des Stiegenhauses

 

Darüber thronte, in einem Glashaus ähnlich Aufbau, die Aufzugmaschine, welche auf Stahlträgern ruhend, über dem Glasdach zu schweben schien.

 

Triebwerksraum am Dach

Triebwerksraum am Dach

 

Erwähnenswert sind auch noch die unverputzten Wände an den nicht einsehbaren Stellen des Gebäudes. Dies folgte noch der damaligen Industrie Architektur.

 

Ein Zeitzeuge erzählt

 

Frühe Erinnerungen

 

Da standen wir nun, vor „seinem ehemaligen Aufzug“.

„1945 bin ich noch mit diesem Aufzug gefahren. Die Hausbesorgerin war nötig um ihn zu bedienen.“ erzählt er schwelgend.

 

Steuerarmatur am Lift

Steuerarmatur am Lift

 

1938 zog seine Familie in das Haus in der Böcklinstraße ein. 
Vormieter war der bekannte Fotograf Dr. Emil Mayer welcher als Stadtfotograf um 1900 Bekanntheit erlangt hatte. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft und der zunehmenden Verfolgung nahmen sich die beiden in der Wohnung mit Lichtgas das Leben.

 

„Ich kann mich noch an den Gasherd in unserer Wohnung erinnern“, erzählt Herr Puchinger. „Mir war richtig mulmig zumute als ich das damals erfuhr.“

 

Ein Grund für diesen Freitod war wohl auch der Umstand, dass die Eigentümerin des Hauses und eine weitere Hauspartei, bekennende Nationalsozialisten waren.
Das bekam auch die Familie Puchinger zu spüren.
Sein Vater, welcher sich beim organisierten Widerstand engagierte, wurde von der Nebenwohnung aus beschattet und abgehört.
Schließlich 1940 aus der Wohnung weg von der Gestapo verhaftet.

 

Häuserzeile Böcklinstraße

Häuserzeile Böcklinstraße

Besatzungszeit

 

Wie durch ein Wunder überlebte der Vater von Herrn Puchinger die Wirren des Krieges.
1942 musste aber auch die restliche Familie emigrieren, kehrte allerdings kurz nach Kriegsende wieder zurück in die alte Wohnung.
Die Hausbesitzerin und alle anderen Regimetreuen waren geflohen, das Haus nur wenig durch eine Tellermine hofseitig beschädigt worden.

 

„Das ist auch die Zeit, wo ich mich noch an einige Aufzugfahrten erinnere“, erzählt er weiter.
Dann verblasst aber leider Herrn Puchingers Erinnerung. „Irgendwann wurde der Lift dann abgestellt. Wieso weiß ich aber nicht mehr.“

 

„Auf jeden Fall hatte es nichts damit zu tun, dass irgendwelche Teile entwendet wurden“ erklärt er, denn in der leerstehenden Wohnung der untergetauchten Nazis zog ein russischer Offizier ein.
Und da sich Helmuts Vater mit diesem auf Tschechisch gut verständigen konnte, und durch seinen politischen Hintergrund, wurde er zu einer Vertrauensperson im Haus.

 

„Von der Kommandantur wurde sogar ein Schreiben am Tor angebracht, dass dieses Haus zu schonen ist, kam es doch gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu Plünderungen.“

 

Tafel am Hauseingang

 

Neue Zeiten, und doch alles beim Alten

 

Nach Ende der Besatzungszeit 1955 kehrte die Eigentümerin ins Haus zurück, unbehelligt ihrer damaligen nationalsozialistischen Orientierung. Fehlende geschichtliche Aufarbeitung, welche bis bekanntlich 1986 mit der Waldheimaffäre erst ändern sollte.

 

„Mein Vater setzte sich damals schon für eine Instandsetzung des Aufzuges ein, doch die Eigentümerin, welche in noch immer als politischen Gegenspieler verachtete, hielt strikt dagegen.“

 

„So lange der General Puchinger hier im Haus wohnt, wird der Aufzug nicht repariert. Der soll mit seinem steifen Bein zu Fuß in den 3. Stock laufen“, zitierte er ihre Worte.

So vergingen die Jahre, beide starben kurz aufeinanderfolgend Ende der 1960er Jahre, und der Aufzug stand weiter Stil.

 

„Wie ich dann selbst älter wurde, versuchte ich ebenfalls eine Instandsetzung der Liftanlage beim neuen Eigentümer zu erwirken. „Ich holte ein Angebot bei der Liftfirma ein, welche den baugleichen Lift im Nebenhaus saniert hatten. 1,6 Millionen Schilling hätte das damals gekostet. Aber es wurde abgelehnt.“

 

Jetzt kommt er zu mindestens ins Museum und ist so in guten Händen“, sagt Helmut Puchinger zum Abschied mit einem Lächeln.

 

Bald im Aufzug-Café

 

Seit Jänner 2023 bin ich nun daran diese kostbaren Liftkabine, schonend zu restaurieren.
Im Aufzug Café wird er dann seinen neuen Platz einnehmen. Ich freue mich schon darauf.

 

Kurz vor der Restaurierung

Kurz vor der Restaurierung

 

Übrigens, als Ehrengast bei der Eröffnung wird dann auch Herr Puchinger live zu Gast sein und seine Geschichten erzählen. Ist es doch „sein“ Aufzug.